Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Das Ballspiel und die österliche Freude
Predigt am Ostersonntag 2000

 

Liebe Gemeinde,

vor längerer Zeit las ich zufällig in einem theologischen Buch eine kleine Notiz, dass es vor Jahrhunderten in einer Kirche in Frankreich Brauch war, dass der Bischof mit seinen Priestern am Ostertag in der Kirche vor dem Altar und vor der Gemeinde ein rituelles Ballspiel aufführte.

Ich fand diese Geschichte von Anfang an interessant, konnte aber zunächst nichts damit anfangen. Der Ball und die Osterbotschaft? Ein Spielzeug und dieses Geschehen zwischen Himmel und Erde, Gott und Mensch?!

Ich fing an, darüber nachzudenken.

Der Ball als Symbol – wofür könnte das wohl stehen?

Und gar das Ballspiel?

Und wie könnte das alles mit Ostern zusammenhängen?

Ostern ist der Sieg des Lebens über den Tod, heißt es.

Gott besiegt Sünde und Teufel. Die Hoffnung triumphiert über die Hoffnungslosigkeit, Gerechtigkeit über das Leid in der Welt. Und das Ballspiel?

Der Ball ist rund. Wie die Erde, wie die Sonne. Die Sonne war und ist in vielen Religionen ein Auferstehungssymbol, nach der Finsternis der Nacht bringt strahlend die Sonne den Tag hervor. Die Frauen gehen frühmorgens zum Grab, heißt es im Evangelium. Und der Evangelist setzt hinzu: als die Sonne aufging. Das ist auch eine Zeitansage, aber zugleich bildhaft zu verstehen. Die runde, goldgelbe Sonne ist ein Ostersymbol.

Soweit, so gut. Aber das Ballspiel? Die Priester hielten keinen Ball hoch, sie spielten in der Kirche Ball.

Ich habe weiter überlegt. Der Ball ist ein faszinierendes, wunderbares Spielzeug. Erinnern Sie sich an die unbändige Lebensfreude, die ein kleines Kind verspürt, wenn es einen Ball durch den Raum rollen kann, wenn es einen Ball fangen und werfen kann. Denken Sie an die brasilianischen Fußballzauberer, die mit einem Ball die unglaublichsten Kunststücke anstellen können (und mitunter vor lauter Verspieltheit auch mal ein Spiel verlieren). Oder denken Sie an die Jugendlichen, die einen ganzen Nachmittag einen Ball in einen Basketballkorb werfen können. Oder denken Sie an die Jungs, die mit einem Ball von der Hauswand nicht weg zu bringen sind. Der Ball ist rund, o ja. Und manchmal rollt er dahin, wo er nicht rollen soll. Er ist unberechenbar. Auch das macht die Faszination des Balles aus. Wenn man sagt, das Rad sei die größte technische Erfindung der Menschen, dann sage ich, der Ball ist die größte spielerische Erfindung. In vielen Religionen gibt es rituelle Ballspiele.

Denn beim Ballspiel kommt aber noch mehr hinzu. Die Priester haben nach bestimmten Regeln zusammen gespielt und ich denke, da liegt der entscheidende Punkt. Ich bin darauf gestoßen, als ich über die Ballsportarten nachdachte.

Es gibt ja ganz verschiedene Sportarten. Da gibt es die athletischen Sportarten, wo es um die perfekte Körperbeherrschung geht, z. B. bei der Leichtathletik oder beim Turnen. Dann gibt es die technischen Sportarten, in denen es auf das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine ankommt, also z. B. Formel 1 und Radsport, aber auch Skirennen. Und dann gibt es die Ballsportarten, die überwiegend Mannschaftssportarten sind. Es gibt zwar auch Golf, Kegeln und Tennis, wobei ich diese bis auf das Kegeln eher zu den technischen Sportarten zählen würde. Aber: keine Regel ohne Ausnahme.

Ballspiele sind Gemeinschaftsspiele. Ich spiele miteinander, füreinander und in geordneten Regeln auch gegeneinander. Ich werfe zu und fange auf, ich versuche, den Ball am Torwart vorbei ins Tor zu schiessen - und er sucht es zu verhindern. Es kommt auf die Beherrschung des Balles genauso an wie auf die Bereitschaft, miteinander zu spielen und auf die Regeln zu achten. Und dies alles zusammen begeistert Menschen seit Jahrhunderten. Ballspiele elektrisieren und faszinieren. Ballspiele sind Ausdruck der Lebensfreude. Und hier ist die Verbindung zur österlichen Freude. Die französischen Priester wollten nach der langen Fastenzeit mit dem Ballspiel in der Kirche sichtbar machen, dass Ostern ein Fest der Lebensfreude ist.

Im miteinander Ball spielen kommen Menschen in Bewegung, fangen an, ein Gefühl für ihren Körper zu bekommen, spüren, was Lebenslust bedeutet. Erstarrtes bricht auf, Menschen gehen an für eine Weile in einem größeren Ganzen auf. Alles christliche, und damit natürlich auch österliche Elemente.

Ostern – Menschen kommen in Bewegung, Freude siegt über Traurigkeit, wir reden von Hoffnung im Leid und so weiter. Und wir überlegen, was die Osterbotschaft mit unserem alltäglichen Leben zu tun hat. Wir denken oft an die großen Dinge wie Überwindung von Tod, Trauer und Leid. Und dies ist für diejenigen, die traurig sind und leiden müssen sicher ganz wichtig. Aber zu Recht hat schon vor mehr als 50 Jahre Dietrich Bonhoeffer davon gesprochen, dass es nicht angehen kann, die Osterbotschaft nur an den Rändern des Lebens zu verkünden, nicht nur bei den sogenannten großen Ereignissen unseres Lebensweges. Sondern mitten im Alltag. "Von der Auferstehung her leben – das heißt Ostern." (Widerstand und Ergebung, Brief vom 27. März 1944) Und da hilft mir der Ball und das Ballspiel schon ein Stück weiter.

Denn diese kleine runde Kugel ist ein Symbol für ein wichtigen Teil unseres Lebens: nämlich für den spielerischen, leichten Umgang mit unserem Leben. Für das engagierte, auch mal riskante Ausprobieren. Und das miteinander und füreinander und kontrolliert gegeneinander. (Natürlich kann das Ballspiel auch entarten – wie alles menschliche entarten kann. Es gibt auch dort Egoismus, Gewalt, Verkrampftheit, die mit Lebensfreude nichts zu tun haben.) Kinder können das noch unverkrampft. Erwachsene verlernen es oft. Vielleicht ist für uns daher das Symbol des Ballspiel österliche Erinnerung und Ermahnung an einen spielerischen Umgang in Teilen unseres Lebens. Warum nicht mal wieder Ball spielen?

Ich kann mich an Filme erinnern, in denen die Schlüsselszene immer wieder in einem Ballspiel liegt, weil genau das dort geschieht: Menschen kommen in Bewegung, Erstarrtes bricht auf. Am stärksten vielleicht in den wunderbaren Film „Einer flog übers Kuckucksnest". Jack Nicholsen als Verrückter in einer psychiatrischen Anstalt und lauter sogenannten Verrückten. Was tut er, um der Langeweile zu entfliehen? Natürlich Ball spielen. Es gelingt ihm, seine Mitinsassen zu begeistern, sogar den Indianer, der sich seit Jahren nicht bewegt hat und kein Wort spricht. Im Prestigeduell gegen die Wärter schnappt er sich im richtigen Moment den Ball und legt los...

Gott ist ein Liebhaber des Lebens. Ein Freund der Menschen. Und er möchte, dass wir miteinander und füreinander leben. Erstarrtes aufbrechen, Neues wagen. Ein Stück Ostern ist daher, wo Menschen sich am Ballspiel begeistern. Wo der Opa dem Enkel den Ball zuwirft. Oder wenn im Sommer deutsche und weißrussische Kinder sich bei der Tschernobylfreizeit zwar mit Worten kaum verständigen können, aber problemlos miteinander Ball spielen werden.

Amen.

 

Anmerkung:

Als ich die Predigt am Ostersonntag in unserer Kirche hielt, ereignete sich folgendes:

Eine Familie war mit ihren drei kleinen Kindern zum Gottesdienst gekommen. Als ich zu Beginn die Gemeinde begrüßte und einer Presbyterin den Ball zuwarf und ihn von ihr wieder zurück geworfen bekam, war der jüngste der drei nicht mehr zu halten. Er holte sich den Ball und war während des gesamten Gottesdienstes vollauf mit rollen, werfen und schießen beschäftigt. Es war ein lebendiger "Kommentar" zur Predigt!